Interview mit Elisabeth von Leliwa (Tonhalle Düsseldorf)

"bach, blech & blues" ist ein ungewöhnlicher Ensemblename, von vornherein weist er auf ein Konzept hin. Welches künstlerische Bedürfnis lag der Ensemblegründung 1989 zugrunde?

Unsere Idee war, innerhalb der zahlreichen Gruppierungen von Blechbläserensembles einen neuen Akzent zu schaffen - und zwar durch die Schwerpunkte Neue Musik, Jazz und Alte Musik. Das sind die drei Säulen, von denen ich denke, dass sie unsere gesamte abendländische Musikgeschichte und -gegenwart beschreiben können: Jazz als Ursprung der späteren Pop- und Unterhaltungsmusik, ohne den diese nicht zu denken ist. Alte Musik als das "bereits Komponierte", das Fundament unserer Gegenwart. Und die Neue Musik ist in unserem Namen als Wortspiel unter dem Motto "blech" vertreten, um den Werkstattcharakter zu betonen.

In der "klassischen" Musikbranche wird oft über eine Krise des Publikums geklagt - dem Jazz geht es inzwischen auch nicht viel besser: War dieses Defizit für Sie ein Antrieb, neue Konzepte zu entwickeln?

Auf jeden Fall! Ich glaube aber, dass wir - da wir im Konzertsaal und eben nicht im Jazzkeller auftreten - doch hauptsächlich das klassikinteressierte Publikum ansprechen, dem wir den Jazz sozusagen "auf ihrem Territorium" näher bringen wollen. Es geht uns aber auch darum, Jazz-Publikum in die traditionellen Konzertsäle zu bringen. Und das Besondere bei unseren Programmen ist eben, dass man das Klassik-Publikum erst in die vertrauten Gleise lenkt und dann plötzlich etwas Unerwartetes kommt, sozusagen eine musikalische Wechseldusche.

In Ihrem aktuellen Programm in der Tonhalle Düsseldorf arbeiten sie mit Jazz-Größen wie Kenny Wheeler, Adrian Mears oder der Vokalistin Judy Niemack zusammen - und konfrontieren Sie mit Komponisten des 15. Jahrhunderts wie Josquin und des frühen 17. Jahrhunderten wie Gabrieli und Monteverdi. Wie überwinden die Musiker eine solche Zeitspanne von mehreren Jahrhunderten?

Das verbindende Element ist aus unserer Sicht der Klang bzw. die Klanggeste. Das tritt am offensichtlichsten bei dem Stück Nimphes nappés hervor, das eine Originalkomposition von Josquin ist, und so von uns Blechbläsern auch gespielt wird. Es ist eigentlich ein reines a-cappella-Chorstück - wir spielen es sozusagen "ohne Worte", versuchen aber, den vokalen Gestus zu simulieren. Dazu ist generell zu sagen, dass diese Musik (wie auch Gabrielis Instrumentalstück Canzon octavi toni) aus einer Zeit stammt, in der die Komponisten sehr vokal dachten. Gabrielis Stück könnte eigentlich genauso gut auch ein Chorwerk sein - und im Gegenzug wurden damals die großen Motetten ja auch meistens colla parte von Bläsern begleitet. Genau dieser Gedanke wird bei Josquins Nimphes nappés von uns sozusagen ins Extrem geführt. Dies ist ein sehr flächiges Stück. Es
handelt von verschmähter Liebe, ein zeitloses Thema, das in fast jedem Love Song vorkommt. Judy Niemack wird über dem originalen Josquin-Satz im Jazz-Gestus improvisieren, der hier eben hörbar dem Renaissance-Gestus verwandt ist. Das kommt auch bei Kenny Wheelers Kompositionen sehr gut zum Vorschein, die sich
durch eine sehr breite, edle Tongebung auszeichnen. Der Jazz hat ja auch verschiedenste Richtungen und wir beleuchten in diesem Konzert mehr den lyrischen Jazz als den Hot Jazz im Stile Charlie Parkers, wobei die Stücke von Adrian Mears (übrigens vier Uraufführungen!) teilweise auch ziemlich zur Sache gehen werden.

Wie genau sehen denn die kompositorischen Querverbindungen im Programm aus? Zum einen haben wir einen historisch "gemischten" Teil mit Werken von Monteverdi, Josquin, Gabrieli und Mears vor der Pause und zum anderen Kenny Wheelers Kompositionen nach der Pause. Wie werden sich diese beiden Teile aufeinander beziehen? Gibt es motivische Verbindungen - oder ist eher der "Gestus", von dem Sie sprachen, das Entscheidende?

Vom motivischen Material her hängen die beiden Teile gar nicht zusammen. Wheelers Long Time Ago Suite (bei unserem Gespräch wird mir die Dimension dieses Namens auch richtig bewusst) ist relativ lang, mehr als 30 Minuten, und sie bedient genau jenen Klanggestus, den wir als Ensemble bei Gabrieli gesucht und gefunden haben. Als wir dieses Stück letztes Jahr beim Bonner Beethovenfest gespielt haben, sind wir sogar noch einen Schritt weitergegangen und haben bewusst an bestimmten Stellen historische Phrasierungs- und Verzierungstechniken wie z.B. ein "messa di voce" hineingenommen, ganz behutsam allerdings.
Es gibt aber darüber hinaus auch ganz offensichtliche Parallelen zum Beispiel zwischen Jazzgesang und dem Renaissance-Zink im Umgang mit dem Vibrato: Dass ein Ton nämlich sehr sonor und rein gespielt wird und erst gegen Ende, bevor er sich zum nächsten Ton bewegt, ein Vibrato eine kleine immanente Dramatik hervorruft.
Das ist eben kein Vibrato, wie man es im 20. Jahrhundert in der klassischen Musikwelt kennt.
Zur Idee von bach blech & blues gehört aber auch, die musikalische Epoche, der wir uns widmen, so authentisch und liebevoll wie möglich zu spielen. Im ersten Teil des Konzerts spielen wir z.B. die Werke von Monteverdi und Gabrieli in chorischer, antiphoner Aufstellung, so dass das Blechbläser-Ensemble - wie damals in San
Marco in Venedig - in eine linke und eine rechte Gruppe geteilt steht. Zusätzlich, für die modernen Werke, wird das Ensemble aber auch wie eine echte Big Band mit Bläser-Section und Rhythmusgruppe aufgebaut.

Offensichtlich verfolgen bach blech & blues also ein ganz differenziertes und subtiles Konzept des "Cross Over", das von konkreter musikalischer Detailarbeit geprägt ist. Im vergangenen Jahrzehnt sind "Cross Over"-Projekte ja groß in Mode gekommen - und oft an der Unvereinbarkeit der Musikstile gescheitert. Wie lange haben Sie an Ihrem Stil gearbeitet?

Ich persönlich habe diese Ideen schon lange in mir getragen. Und sie sind auch in anderen meiner Ensembles, z.B. in meinem Kammerorchester oder auch in der Big Band der Bamberger Symphoniker, zum Leben erweckt worden. Viele Projekte in diesem Bereich scheitern aber daran, dass man auf der einen Seite den Jazz- oder Rockmusiker hat und auf der anderen Seite den klassischen Musikerpool. Im Normalfall sitzen die nebeneinander und spielen so wie sie es gewöhnt sind. Oft, wenn es salopp gesagt "U-Musik-mäßig"
zur Sache geht, haben die klassischen Musiker nur noch Begleitfunktion. Interessant wird es für mich erst, wenn es wirklich durchwoben ist und wenn man nicht mehr sagen kann, wer von den Leuten auf der Bühne Jazz-Musiker und wer klassischer Musiker ist - sondern alle an einem Werk arbeiten. Und solche Werke sind die Stücke von Kenny Wheeler und Adrian Mears mit Sicherheit. Bei Adrian Mears' Flora und Fauna kommt sogar noch ein Didgeridoo zum Einsatz - ein Instrument aus der Weltmusik, ein neuer Charakter, der da ins Spiel kommt, aber der obertonreiche Klang des Didgeridoo mischt sich unglaublich gut mit den Blechbläsern.

Sehen Sie eigentlich in der deutschen Musiktradition - mit der Trennung der sogenannten E- und U-Musik - besondere Probleme, solche neuen Konzepte zu entwickeln und durchzusetzen?

Ehrlich gesagt ist das Schwierigste "der Veranstalter". Verständlicherweise fürchten viele Konzertveranstalter, dass die Leute sich nicht in ein ungewöhnliches Konzert trauen. Die beste Situation für uns ist wie hier in der Tonhalle Düsseldorf, wo wir sozusagen "Carte blanche" hatten, unser Programm nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Prinzipiell sollte man zur E- und U-Musik sagen, dass dies eine Klassifizierung ist, die von der GEMA aus abrechnungstechnischen Gründen entwickelt worden ist. Das ist nicht einmal musikwissenschaftlich
begründet und gibt überhaupt keine Auskunft über die Qualität. Und heutzutage wird soviel Musik geschrieben, von der man überhaupt nicht mehr sagen kann, ob sie "U" oder "E" ist...

Das Gespräch führte Elisabeth von Leliwa


zurück